Montag, September 03, 2012

Das Ende der Langstrasse

Jedes Mal, wenn ich mit dem Fahrrad vom Kreis 4 her kommend durch die Lagerstrasse in Richtung der Unterführung fahre, habe ich das Ende der Langstrasse vor Augen. Der Langstrasse wie man sie kennt. Die Geldströme erhalten einen breiten, hässlichen Kanal.

Donnerstag, August 30, 2012

1983 [Auszug aus einem autobiographischen Text]

„Okay, setz Dich hin und nimm die Plattenhülle in die Hand. Schau Dir das Bild an, sobald der Song läuft. Bereit? Los geht's!“ Das Riff von „Let it loose“ ist wie eine Stahlbürste, die in den Gehörgang gestossen wird. Ich kann es an Thomas' Gesichtsausdruck sehen, welchen Eindruck ihm das macht. „Woah!“, ruft er, das Plattencover der Savage LP mit gestreckten Armen und verkrampften Händen vor sich haltend. Wir lachen beide vor Glück auf, im Einfamilienhaus, das in unmittelbarer Nähe der Psychiatrischen Anstalt liegt, in der Robert Walser einen grossen Teil seines Lebens verbracht hatte. Thomas ging mit mir zur Schule, nicht in dieselbe Klasse, aber ins Sekundarschulhaus Ebnet in Herisau. Vieles trennte uns, aber für einen kurzen Moment eröffnete die Musik eine gemeinsame Schnittfläche. Thomas kleidete sich wie ein Popper, war schlaksig, grossgewachsen und hatte – warum erinnere ich mich ausgerechnet daran? – auffällig grosse Hände. Als Prokurist verdiente sein Vater genug, sich ein schmuckloses, eigentlich doch recht langweiliges Einfamilienhaus zu leisten, am äussersten Rand des Dorfes gelegen, noch ein wenig weiter draussen als die Klinik. Die Erwartungen des Elternhauses an Thomas waren hoch und ich weiss nicht, wie es mit ihm weitergegangen ist, ob er sie hat erfüllen können. Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger habe ich ihn einmal kurz getroffen vor dem „Ozon“ in St. Gallen, einem kleinen Club, dessen Musik und Drogen mich damals nicht interessierten. Thomas war das, was man heute einen Nerd nennen würde: Picklig war er, proper und doch nachlässig gekleidet, wie ein Jugendlicher, den halbblinde Eltern in Popperkleidung gesteckt hatten. Musikalisch war er weitaus offener als ich, hörte einfach alles, was ihm Spass machte und wusste dieses auch gegen meinen unerbittlichen Spott zu verteidigen, so dass ich irgendwann nachgab. In seinem riesigen, aber sonderbar leeren Zimmer stand ein C64, anfänglich noch ohne externer Speicher. Thomas sass stundenlang davor, gab aus den entsprechenden Magazinen endlose Befehlszeilen in den Rechner ein und wenn er sich dabei nicht vertippt hatte (was nie geschah), rief er mich an und ich radelte den weiten Weg zu ihm, quer durchs ganze, zu gross geratene Dorf, hügelab und danach hügelauf. Unermüdlich spielten wir dann mit dem Game, das der Rechner aus den von Hand eingetippten Zeichenfolgen zum Leben erweckte – solange er in Betrieb war, denn speichern liess sich nichts, das Spiel blieb im Arbeitsspeicher gefangen, geisterte dort umher, solange dieser mit Strom versorgt war. Trotzdem froren die Spiele manchmal ein oder verschwanden ganz einfach vom Bildschirm, bis selbst Thomas, der in irrwitzigem Tempo tippen konnte, das alles zuviel wurde. Er durfte sich eine sogenannte Datasette kaufen, ein Kassettenrekorder, den man an den C64 anstöpseln konnte und der dann die Daten auf Kassette speicherte. Auf diese Weise liessen sich dann auch etwas fortgeschrittenere Games spielen, etwa „Q*bert“ (das mich total überforderte) oder „Defender 64“, ein Ballerspiel. Demodulation, Basic, RAM, Peripherie, Serialbus – ich verstand von allem nicht das geringste. Die Möglichkeit, mittels eines C64 Computerspiele nach Hause holen zu können, faszinierte mich aber in hohem Masse. Die Möglichkeit, mein Bollwerk weiter auszubauen, musste ich nutzen.

Tagebuch

schreiben, bevor die einfälle verglüht sind. manchmal läuft die zeit im stillstand so schnell, dass dies unmöglich ist. kaum, dass im gedankennebel etwas form annimmt, hat es sich auch schon wieder verflüchtigt. wie musik.

Mittwoch, Oktober 10, 2007

Die deutsche Frucht

Wann macht eigentlich jemand mal klar in der öffentlichen Debatte um die Reichskörperfruchtbeauftragte Eva Herman, dass der Kern ihrer Aussagen nicht so sehr darin liegt, den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Vielmehr geht es doch darum, dass sie in ungebrochener Kontinuität am Bild festhält, dass das "Deutsche" nicht aussterben dürfe. Wenn Kerner auf die Aussterbephantasien ("Wir sterben aus!") sehr klug antwortet, dann gebe es halt ein paar Chinesen mehr, die Menschheit werde nicht verschwinden, keine Bange, Frau Herman, da schüttelt diese den Kopf und murmelt entsetzt "das ist ja interessant!".

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Freitag, März 02, 2007

Oi

oi's not dead

Montag, September 11, 2006

Der unterbrochene Monolog


Unschwer zu erkennen; dieser Blog ruht seit geraumer Zeit. Aber es gibt ja noch einen anderen von mir und da steigt sozusagen der Rauch auf vom vielen Posten.

Dienstag, April 11, 2006

L'autre

Zuerst wollte ich hier etwas schreiben über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier und die radikale Alterität des Tieres. Mir schwebten drei, vier Zitate von Lévinas, Nietzsche und Luther vor.

Dann ist mir folgende Anzeige im Internet im begegnet:

"Hallo, ich bin der Nietzsche, ein Mischling, ca. 35 cm groß und ca. 10 Kilo schwer! Meinem Namen machte ich nur als Welpe (gefunden in der Mülltonne) alle Ehre durch meine Sorgenfalten. Die haben sich nun verwachsen und das Denken auch, stattdessen bin ich ein liebenswerter, lustiger und kecker kleiner Kerl geworden.

Ja, keck, weil ich auch ganz unternehmungslustig immer wieder die Nachbarn besuche, um dort ein bischen das Geflügel oder die Katzen zum Spielen aufzufordern. Das gefällt denen nicht, obwohl ich ihnen doch gar nichts Böses antuen will, ich will doch nur Spielen. Unserer Hündin versuche ich das auch gerade beizubringen, was zu noch mehr Ärger zwischen meinen Menschen und den Nachbarn führt.

Sei es drum, nun soll ich mir eben ein neues Zuhause suchen. Viva Animal e.V. hilft dabei, solange kann ich noch bei meiner jetzigen Familie auf Mallorca bleiben. Habt Ihr Kinder, dann holt mich doch, dann kann ich doch mit denen spielen. Ich liebe Kinder!"


(Quelle: http://www.zwerge-in-not.de/Hunde/HundePatricia/nietzsche.htm, 11. April 2006. Ja: Zwerge in Not.)

Donnerstag, März 02, 2006

Historische Anthropologie II: Mängelwesen Mensch

Ich habe heute heute Patti Smiths "Peace and Noise" CD gekriegt. Letzte Woche (eine Frau, mit der mich eine seltsame Art von Freundschaft verbindet, war bei mir zu Besuch) habe ich diese Platte erst kennengelernt und war unmittelbar sehr beeindruckt von der Traurigkeit und der Wucht, die Patti Smith in den Songs vermittelt. Also war die Freude gross, heute schon das Päckchen in Händen zu halten. Ich schaute mir das Booklet an. Die Platte ist William S. Burroughs gewidmet; ich dachte mir, ja, Frau Smith, diese Nähe zum Oberguru aller schreibenden Junkies hört man ihnen auch an, keine Frage. Natürlich fand ich es auch etwas abgeschmackt. Vielleicht aber kannte sie ihn ja persönlich. Dies ist sogar sehr wahrscheinlich. Nun gut, ich blätterte weiter im Booklet, versuchte, die Handschrift auf die Schnelle zu entziffern, in der grössere Textmengen geschrieben stehen. Da plötzlich sah ich ein Foto, auf dem Patti Smith und, so nehme ich, ihre Band sich um den Dalai Lama versammeln (es ist en anderes Foto, als das hier zu sehende, aber sehr ähnlich und in geschmacksvollem Schwarzweiss). Er steht da, der Heilsstifter, in ihrer Mitte, mit demselben idiotischen Grinsen, das er immer zur Schau trägt und das, wenn man das Pech hat, ihn auf Film zu betrachten, dann oft auch noch von einem unerträglichen Blöken begleitet wird (eine Art Lachen, das Empathie signalisieren soll, dabei in mir aber Bilder von Geissböcken aufsteigen lässt - der tibetanische Feudalismus wohl). David, ein junger und schlauer Mann aus Zürich, kann dieses Lachen perfekt imitieren und lässt mich damit jeweils ins Grübeln kommen: Man sollte sich neue Gedanken über den Zusammenhang von mimetischem Handeln und Vernichtungsphantasien machen.
Was treibt vorallem Künstler und Künstlerinnen immer wieder dazu, sich mit diesem Dalai Lama zu assoziieren? Ist es diese degoutante Verheissung exotischer Spiritualität, die Heilung vom eigenen Junkie-Dasein verspricht? Eine reine Projektion also?