Dienstag, Januar 31, 2006

«Der Fall Perruche» oder: Was ist Eugenik?

"Die Gegenwart der Eugenik": So ist Clemens Pornschlegels Aufsatz im Sammelband "Biopolitik und Rassismus", herausgegeben von Martin Stingelin im Suhrkamp Verlag, überschrieben. Um es kurz zu machen (und um vielleicht nochmals auf den "Fall Perruche" eingehen zu können): Ich bin nicht der Ansicht, dass man in diesem äusserst komplexen und schwierigen Rechtsstret die Gegenwart der Eugenik ausmachen kann.

Mein Freund und Schwesterblogger Alex hat angefangen, über den "Fall Perruche" zu berichten (http://myblog.de/thethrill). Er folgt dabei, vielleicht unter dem Eindruck des Gelesenen und auch der Vorlage wegen, unter der der "Fall" gehandelt wird (es ist dies diejenige der Eugenik), der Argumentation, wie Pornschlegel sie entwickelt (und mit ihm viele andere), dass nämlich im Gerichtsurteil, das dem nie geborenen alter ego von Nicolas Perruche eine Entschädigung zugesprochen worden ist, im Namen seiner Mutter, da der Nicolas Perruche, der in der Tat auf die Welt gekommen ist, diese als "Pflanzen-Mensch" (Pornschlegel" betreten hat.
Die Mutter, soviel lässt sich rekonstruieren, hätte das Kind abgetrieben, hätte sie von der starken Behinderung (das "Gregg-Syndrom") pränatal erfahren. In der Tat hat die Mutter sich vorgeburtlich untersuchen lassen, da sie sich bei ihrer Tochter mit den Röteln angesteckt hatte. Ihr Hausarzt untersucht Frau Perruche also und kommt zum Ergebnis, dass sie sich infiziert habe. 14 Tage später, wir befinden uns im Jahr 1982, ändert sich der Befund, als ein Labor den Test zu Kontrollzwecken wiederholt. Nun ist er negativ: Es bestehe keine Gefahr für das Kind und somit wird Nicolas Perruche am 14. Januar 1983 geboren. Als "Pflanzen-Mensch".

[Fortsetzung folgt]

Montag, Januar 30, 2006

Musik in der Schwebe: Manilla Road «Crystal Logic» LP (Roadster Records, USA 1983)


Ich hab die LP damals, 1983, wohl vorallem des Covers wegen angekuckt. Dasselbe Cover, das mich heute schaudern lässt, das mir einen Hauch von Scham entgegenschickt. Scham darüber, mich wiederzuerkennen, Scham aber auch als Fremdscham.

Dennoch - leg ich die LP auf, so nimmt mich ihre Atmosphäre sofort gefangen. Das Intro, "Prologue", scheint schon zu vibrieren durch meine Erwartung, die eigentlich keine ist, denn sie weiss ja, was gleich kommen wird. Im Wort Antizipation schwingt die Verneinung bereits mit; es ist dies die Verneinung in einem zeitlichen Sinn und mit Bezug auf die Gegenwart. "Necropolis", die Stadt der Toten, fängt mit einem klaren, harten Riff an und treibt sofort los. Der Gesang, seltsam näselnd und in einem beschwörenden Tonfall gehalten, prägt sich augenblicklich ein. An ihm scheiden sich die Geister. "It feels like I'm living inside a dream, but my mind tells me I'm lost in Necropolis" - diese Unbestimmtheit und gleichzeitig der feste Griff, der sich um sie gelegt hat, ist es, die die Platte und ihre Wirkung gemeinsam charakterisieren. Natürlich - es ist nicht einfach, wenn man sich als Gefangener fühlt; auch nicht, wenn es eine süsse Gefangenschaft ist. 1983 ist lange her.
"Crystal Logic" schliesst an. Dieselbe Stimmung, daselbe Gefühl von Verlorenheit. "Feeling free again" ist ein schwaches Stück, der Ausfall der Platte eigentlich. "The Riddle Master" deckt die Lücke aber wieder zu, nahtlos fast, und auf der B-Seite ist es "The Ram", mit seinem eigenartigen, nicht in den definitorischen Griff zu kriegenden Stilmix, der wieder Ahnungen aufsteigen lässt, wenn man sich hingibt. "The Veil of negative Existance": Die Kälte, das Pathos - hier sind sie in genau der Richtung Mischung aufeinander abgestimmt; es ist, als ob sich eine aristotelische Ästhetik eingestellt hätte, die dann aber, am Ende der Platte, mit "Dreams of Eschaton" ihren quasi ausbalanciertesten Ausdruck erst findet. Unfassbar, wirklich - nicht vollendes zu entziffern das Intro mit seiner abgründigen Harmonie, dem Text, der Bezug nimmt auf die atomare Bedrohung des Kalten Krieges. Doch die Schwebe bleibt: "it feels like I'm living inside dream, but my mind tells me ....", wie es eingangs hiess. Das Ende ist wie der Anfang eine Vorausahnung, ex posteriori hergestellt und nicht abgeschlossen dadurch.